Der Tag beginnt mit einem festen Ritual. „Guten Morgen zusammen“, grüßt Karsten Wessels, wenn er das AWO-Haus in Heide betritt. Schallt es dann aus der Küche dreistimmig zurück: „Guten Morgen alleine“, weiß AWO-Leiter Wessels, dass hier alles auf einem guten Weg ist. Für drei von sechs Frauen aus dem Küchenteam beginnt der Arbeitstag um 7 Uhr morgens. Bis spätestens um 9.30 Uhr ist das Team dann komplett.
Sechs Frauen aus sechs Nationen, dazu derzeit vier unterschiedliche Religionszugehörigkeiten, das muss man erst mal unter den Hut bekommen. „Bei uns klappt das ganz wunderbar, aber eines ist auch klar, Politik und Religion bleiben außen vor“, sagt Karsten Wessels.Oder, um es mit den Worten von Küchenchefin Katharina zu sagen: „Wir haben verschiedene Glauben. Wir sind alle gleich. Wir wollen keinen Krieg.“ So vielfältig die Gründe für die Frauen waren, ihre Heimat zu verlassen (und einen handfesten Grund hatte jede Einzelne), so unterschiedlich in Temperament und Alter sind die Sechs. Dennoch haben sie zu einem richtig guten Team zusammengefunden. Profiteure sind all jene Menschen, die sonst kein Frühstück oder keine Mittagsmahlzeit verzehren könnten, oft genug haben sie nicht einmal ein Zuhause. „Wir fragen nicht ‚warum‘ jemand vor unserer Tür steht. Niemand wird weggeschickt“, sagt Katharina. Für den Verzehr der Speisen ist ein separat zugänglicher Raum hinter der Küche reserviert, die sogenannte Wärmestube. Der Name darf gern im doppelten Sinn verstanden werden, meint Karsten Wessels. Für die Tasse Kaffee oder Tee oder die warmen Essen, die hier ausgegeben werden. Aber auch für die Herzenswärme, die hinter dem AWO-Projekt stehe.
Katharina, gebürtige Ukrainerin und gelernte Köchin, ist mit ihrem deutschen Mann aus Kasachstan nach Heide gekommen. Von den sechs Frauen arbeitet sie am längsten in der Küche. Russisch-ukrainische Wurzeln mit deutschem Hintergrund hat auch Ein Euro-Jobberin Nadja. Nicole stammt aus Deutschland, Faten aus Syrien. Wie Nicole erhalten die beiden für ihre Tätigkeit lediglich eine Aufwandsentschädigung. Alice (Vater Pole, Mutter Deutsche) war vor neun Jahren noch ALG II-Bezieherin, wollte aber nicht zuhause sitzen und hat für einen Euro gejobbt. Über eine Arbeitsfördermaßnahme ist sie fest ins Küchenteam gerutscht. Die Bezuschussung läuft demnächst aus, doch die Chancen für eine Teilzeitanstellung bei der AWO stehen derzeit gut. Karsten Wessels hat sich für sie stark gemacht. „Ein Beispiel für eine gelungene Eingliederung ins Erwerbsleben“, freut sich der AWO-Leiter.
Vor sechs Jahren ist Sherin aus Syrien geflohen. Damals sprach sie kein Wort Deutsch. Mittlerweile spricht sie unsere Sprache fließend. „Ständig hat sie uns gelöchert, wie dies und jenes heißt“, erzählen ihre Küchenkolleginnen. Sherin hat sich behauptet, mittlerweile die heiß ersehnte eigene Wohnung bezogen und freut sich über die Perspektive, einmal die Nachfolge von Katharina als Küchenchefin antreten zu können. „Jede Einzelne dieser sechs Frauen hat sich auf den Weg gemacht. Alles kleine Erfolgsgeschichten und wir freuen uns, als Arbeitgeber unseren Teil beizutragen“, fasst Karsten Wessels zusammen. Mit den Worten von Alice und Küchenchefin Katharina klingt das so: „Wir sind stark geworden, weil wir es mussten. Weil wir so viele Probleme zu bewältigen hatten.“
Die Frauen kochen mit dem, was an Lebensmitteln gerade verfügbar ist. Zugekauft wird möglichst wenig. Tatsächlich stammt der Großteil an Obst, Gemüse oder auch Fleisch und Wurst aus der „Garage“, wie die Tafelausgabestelle in der Küche genannt wird (tatsächlich ist es ja eine Garage). Daher gibt es keinen durchgetakteten Essensplan. Es lässt sich denken: So zu kochen erfordert Kreativität, aber auch Professionalität. Eine Rezeptsammlung, die über viele Jahre immer weiter ergänzt worden ist, füllt mehrere Ordner. Doch meistens kochen die Frauen ohne die Rezepte nachzuschlagen. Typisch deutsche Gerichte sind darunter, wie Kartoffelpuffer, Erbsensuppe oder Rote Grütze als Nachtisch. Tatsächlich werden viele vermeintlich typisch deutsche Gerichte auch in Polen, Russland und der Ukraine gegessen, meint Alice: „Vielleicht in etwas anderer Zubereitung.“ Auch Gerichte aus den Ursprungsländern der Frauen kommen auf den Tisch. Sherins Spezialität beispielsweise ist „Lahm bi Ajin“: Lahm bedeutet „Fleisch“ und bi Ajin „mit Teig“. Es ist ein dünnes Fladenbrot, in Sherins Zubereitung mit Hähnchenhackfleisch und ziemlich vielen orientalischen Gewürzen, die sie mitbringt. Nach Alices Meinung gehören in eine originale Soljanka drei Sorten Fleisch. Nicht immer sind die in der AWO-Küche verfügbar, dann gibt es eine Soljanka im Stile der AWO – also mit dem was gerade da ist. Die aber gewiss nicht schlechter schmecken muss. Karsten Wessels liebt es, wenn die Frauen Gerichte aus ihren Herkunftsländern zubereiten wie Piroggi oder Borschtsch. An seinen Bürotagen montags bis freitags isst er mittags gegen eine Geldspende. Genauso wie ein externer Gast, ein alleinstehender älterer Herr, der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, sowie AWO-Beschäftige und freiwillige Helfer, beispielsweise der Tafelausgabe.
Für die drei Frauen die morgens um 7 Uhr kommen, endet der Arbeitstag um 13 Uhr. Die spätere Schicht putzt, wäscht ab und räumt alles wieder an seinen Platz. Dann kehrt um spätestens 16 Uhr Ruhe ein in der Küche der AWO in Heide. Bis zum nächsten Morgen um 7 Uhr, wenn Katharina, Alice und Sherin die Küchentür aufsperren.
Text und Foto: Ellen Hinrichs